200 Jahre Hagelgilde Versicherungs-Verein auf Gegenseitigkeit

Versichern, damit die Bilanz nicht verhagelt.

„Er kennt keine Regel und keine Schablone. Mit enormer Wut schleudert ihn der Gewittersturm in die Pflanzen, zerreißt, zerfetzt, bricht, knickt und trifft wahllos ihm zugängliche Stellen. Immer wieder ist das Schadenbild anders.“ Die Rede ist vom Hagel. Dieses Zitat aus der Anleitung für die Schadensschätzer von Gilde-Direktor Dr. Wilhelm Bongardt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt deutlich, warum es seit gut 200 Jahren Hagelversicherungen in Deutschland gibt.

Bis heute hat die Abwehr von Hagel keinen Erfolg. Im 4. Jahrhundert schwang man blutige Beile drohend gen Himmel. Als Benjamin Franklin 1752 den Blitzableiter erfunden hatte, wurde versucht, dieses Instrument gegen Hagel einzusetzen. Auch die Impfung der Wolken mit einer Silber-Jodid-Lösung brauchte keine Abhilfe. Allein die Verteilung des Risikos durch den Zusammenschluss in einer Hagelversicherung erwies sich als zumindest Schaden mindernd.

Als ein Ursprungsland der Hagelversicherung gilt neben Frankreich auch Deutschland. Hier wurden die ersten Versicherungen im Norden und Osten des Landes gegründet. Vor allem die großen Güter waren einem erheblichen Schadensrisiko ausgesetzt. Auch die heute zweitälteste Hagelversicherung, die Hagelgilde, geht auf Hamburger Kaufleute zurück, die in schleswig-holsteinische Güter investiert hatten.

Am 28. Juni 1811 wurde nach einigen Anlaufschwierigkeiten die „Hagel-Assecurranz-Gesellschaft im Preetzer adelichen Güther-District“ gegründet. Die Versicherung startete mit fünf glücklichen Jahren, in denen keine Hagelschäden verzeichnet wurden. Die Beiträge fielen kaum ins Gewicht, die Gesellschaft expandierte. 1839 trat der erste größere Schadensfall ein, der knapp 26.000 Reichstaler Entschädigung fordert. Die Beiträge mussten erhöht werden, da es keinen Reservefonds gab. Einige Mitglieder verließen daraufhin die Gesellschaft. 1846 wurde die Versicherung auf Mecklenburg-Strelitz ausgedehnt. Ungerechtigkeiten in der Beitragsgestaltung führten allerdings zu existenzbedrohenden Austrittsbewegungen. 1847 wurde der Beitrag aufgrund eines 40-Jahres-Vergleichs angepasst. Die Jahre 1864/65 erwiesen sich durch hohe Schadenfälle als die schlimmsten in der Geschichte der Gilde. Nach großen Schäden wurde 1882 ein Reservefonds in Höhe von 2% der Versicherungssumme aufgelegt.

Über die Jahrhundertwende gab es 1874 Mitglieder in 20 Distrikten. Einen Wendepunkt bildet der Erste Weltkrieg. Sämtliche Rücklagen fielen der Inflation zum Opfer. Auch der Zweite Weltkrieg hatte eine entscheidende Wirkung. So wurde das inzwischen nach Kiel verlegte Büro völlig ausgebombt, sämtliche Dokumente verbrannten. Um die Geschäfte fortzuführen, bot Dr. Wilhelm Bongardt, der damalige Direktor des Vereins, Räumlichkeiten auf seinem Betrieb Hof Altona bei Sierksdorf an. Das „kriegsbedingt Provisorium“ vom September 1944 hält bis heute.

Die Währungsreform 1948 überstand die Gilde mit einem erneuten Verlust ihrer Rücklagen. Nach hohen Schadensfällen im Jahr 1949 musste man trotz erhöhter Beiträge einen Kredit von 100.000 DM aufnehmen. Daraufhin schloss die Gilde einen Rückversicherungsvertrag ab. Zusätzlich wurde in den Versicherungsbedingungen bestimmt, dass 60% des Beitrags im Frühjahr vorausgezahlt werden. So kann die Gilde im Schadenfall eine frühzeitige Abschlagszahlung leisten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Versicherungssumme rasant an, mit einer Verdoppelung auf 5,6 Mio. DM innerhalb der ersten zehn Jahre. Die technische Entwicklung in der Landwirtschaft übertrug sich auch auf übernommene Risiken in der Hagelversicherung. So musste in den frühen 1950er Jahren erstmals das Mähdruschrisiko bewertet werden. Statt des Ernteverfahrens in einzelnen Stadien – Mähen und Trocknen in der Schnittreife, Einfahren oder Dreschen aus der Hocke – wurde das Getreide nun vom Halm gedroschen. Dazu musste es allerdings bis zur Totreife auf dem Halm bleiben, die Hagelgefährdung stieg. Es wurde vorübergehend ein Selbstbehalt von 20% der Versicherungssumme festgelegt.

1959 schloss man sich mit dem „Gegenseitigen Hagelversicherungsverein für das nordöstliche Holstein“ zusammen zur „Schleswig-Holsteinischen Hagelgilde“ und damit zur größten Hagelversicherung im Land. Bis in die 1960er Jahre wuchs der Gildebestand auf 100.000 ha mit einer Versicherungssumme von 170 Mio. DM. Die Zahl der Mitglieder sank im Zuge des Strukturwandels auf 4.000.

In den 1980er Jahren war die Gilde mit den schwersten Schäden der Geschichte konfrontiert. Die Rücklagen wurden stark beansprucht. 1989 konnte das Gebiet in die Hamburger Vier- und Marschlande ausgeweitet und um 4.000 ha gesteigert werden. Nach dem Fall der deutsch-deutschen Grenze warf die Schleswig-Holsteinische Hagelgilde einen Blick nach Mecklenburg-Vorpommern. Zunächst konzentrierte man sich auf den ehemaligen zweiten Distrikt und baute einen guten Versicherungsbestand auf.

Mit der Agrarreform von 1993 verlor auch die Hagelgilde 10% der versicherten Fläche, die als Stilllegung aus der Produktion genommen wurde. 2002 wurde der Name des Vereins geändert auf „Hagelgilde Versicherungs-Verein a.G.“ (=auf Gegenseitigkeit).
Die Hagelgilde ist immer noch eine Ein-Sparten-Versicherung, die ausschließlich Hagelschäden an landwirtschaftlichen Bodenerzeugnissen versichert. Zudem agiert sie nach wie vor regional begrenzt. Der Anteil der Verträge liegt bei einem Verhältnis von fünf (Schleswig-Holstein/Hamburg) zu zwei (Mecklenburg-Vorpommern). Bei der versicherten Fläche spiegelt sich die Größenstruktur der Betriebe wider. Hier liegt das Verhältnis bei etwa 1:1. Seit 2008 bietet die Hagelgilde eine Zusatzdeckung gegen Sturmschäden speziell für Biogasmais an. Heute besteht die Hagelgilde aus über 3.000 Versicherten mit zirka 7.000 Verträgen und ist in ihrem Stammland Marktführer. 25 der 30 Distrikte sind in Schleswig-Holstein angesiedelt, fünf in Mecklenburg-Vorpommern. Auch der Distrikt zwei, der formal während der DDR-Zeit bestehen geblieben war, gehört heute wieder dazu.

Heute wird nicht nur Getreide versichert, sondern alle Feldfrüchte, auch Gemüse oder Mais. Immer noch zeichnet sich die Hagelgilde durch unbürokratische Abläufe und ein flexibles Handeln aus. Dies wird durch die Selbstverwaltung möglich. Mit zwei Mitarbeitern in der Geschäftsstelle, die den Vorstand bilden, sowie je einem Außendienstmitarbeiter in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hält die Hagelgilde Verwaltungskosten niedrig. Auch das neue elektronische Bestandsführungssystem spart seit 2010 Verwaltungskosten. Inzwischen wird ein Drittel der jährlichen Anbauverzeichnisse elektronisch übermittelt.

Basis des Erfolgs ist aber das ehrenamtliche Engagement der Distriktvorsteher und Schätzer. Sie sind das Bindeglied zwischen dem Mitglied und der Hagelgilde. Sie benötigen ein hohes Maß an Integrität und ein umfangreiches Fachwissen. Pro Distrikt gibt es fünf bis zehn ehrenamtliche Schätzer, die vom Distriktvorsteher eingesetzt werden. Der Auftrag zum Schätzen ist eine moralische Verpflichtung und keine Interessenwahrnehmung, weder für den Geschädigten noch für den Verein.

Auch wenn der Schätzer heute keinen Eid mehr am Feldrand leistet, ist er grundsätzlich unabhängig und an keine Weisungen gebunden. Für die Hagelgilde arbeiten derzeit mehr als 200 ehrenamtliche Schätzer. Dennoch sucht die Hagelgilde stets junge Leute, um den Nachwuchs zu sichern.


Quelle: Bauernblatt, 02. Juli 2011